Textes en Allemand

Der „Rassemblement national“ (vormals "Front national") von Marine Le Pen in Frankreich – Die FPÖ ("Freiheitliche Partei") in Österreich / Eric Zemmour, eine neue Gefahr für Frankreich

"Correspondants" - Debatte auf "France Info tv"

Der Besuch des Papsts in Marseille war ein unentwegtes Plädoyer für die Solidarität mit den Migranten im Mittelmeer - meines Erachtens handelte es sich "in gewisser Hinsicht, um die bedeutendste Demonstration in Frankreich gegen den Aufstieg der Rechtsaußenkräfte seit 2002"

 

Ich habe im Laufe der Sendung (auf dem Video ab 00: 05: 40) die Versammlung in Marseille von ca. 150.000 Menschen rund um den Papst (die Freiluftmesse mit über 70.000 Anwesenden im städtischen Stadium und die Durchfahrt auf einer Hauptavenue, die von etwa eben soviel Jubelnden gesäumt war) als „in gewisser Hinsicht die größte Demonstration in Frankreich gegen den Aufstieg der Rechtsaußenkräfte seit 2002“  bezeichnet (Am 1.Mai 2002 hatten landesweit über eine Million gegen Jean-Marie Le Pen demonstriert, nachdem sich der Rechtsaußen-Tribun knapp zuvor für die Stichwahl um das Präsidentenamt qualifiziert hatte. Diese massiven Demos hatten entscheidend dazu beigetragen, den Elan von Le Pen für die Stichwahl zu brechen)  

 

Diesmal hatte der Papst schon vor seiner Ankunft, dann am Tag seiner Ankunft in Marseille und schließlich am Tag darauf, vor den Menschen im Stadion, immer wieder auf neue und eindringlichst dazu aufgerufen, die Migranten, die im Mittelmeer herumirren und dort oftmals ertrinken, bedingungslos aufzunehmen („Das sind keine Invasoren sondern Schutzbedürftige, die auf unsere Gastfreundschaft Anrecht haben“, „Wir müssen uns gegen die Epidemie der Teilnahmslosigkeit stemmen“ die europäischen Staaten müssen koordiniert und nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten diesen Hilfssuchenden eine würdige  Bleibe und Integration bieten, ohne Assimilation erzwingen zu wollen. Usw., usf…

 

Ich stimme zwar mit all diesen päpstlichen Parolen, die ich hier sinngemäß resümiere, nicht kommentar- und ergänzungslos überein. Ich habe ich es aber für nötig befunden, festzuhalten, dass es sich dabei um ein respekteinflößendes Aufbäumen gegen die Rechtsaußenkräfte handelt, die zurzeit in etlichen EU-Staaten (darunter wie ich erwähnte auch in Österreich) in Umfragen in schwindelerregende Höhen bzw. stellenweise auch ans Ruder gelangt sind, und die die übrigen Parteien und die Öffentlichkeit vielfach vor sich her treiben.

 

Des Weiteren habe ich versucht zu erklären, dass der Papst mit dieser zentralen politischen Linie den linken bzw. linksliberalen Kräfte innerhalb des Katholizismus den Rücken stärkt, zu einem Zeitpunkt da diese Kräfte zwar noch vorhanden sind, aber zusehends schwächeln, an Überalterung leiden und mit einer wieder verstärkt konservativen und ritualisierenden jüngeren katholischen Basis umgehen müssen.

 

Damit erleben wir vermutlich das Ende der Periode, die mit Vatikan Zwei begonnen hatte, später in Frankreich die linkskatholischen Kräfte (Arbeiterpriester und kath. Arbeiterjugend) gestärkt hatte. Diese spielten beim Generalstreik des Mai 1968 eine entscheidende Rolle und trugen zur Geburt der sogenannten „Deuxième gauche“ („zweite Linke“) an der Schnittstelle zwischen radikal-alternativem Projekten und reformistischen Pragmatismus bei, also eines neuen linken Pols, der schon bald die Moskau-hörige und erstarrte KPF übertreffen sollte. Das mündete auch in die Renaissance der bis dahin darbenden französischen SP, dem Sieg der Linksunion 1981, und der Gründung der CFDT, dem derzeit die größten Gewerkschaftsbund Frankreichs, und etlicher noch immer aktiver zivilgesellschaftlicher Initiativgruppen.

 

Aber diesen linken bis linksliberalen katholischen Kräften steht ein formalisierender bis dogmatischer Trend zur Re-Konfessionalisierung gegenüber. Die religiös teilweise konservativeren jüngeren Katholiken, haben sich bei Wahlen von den Linksparteien mehrheitlich wegbewegt und den Parteien des Zentrums, der rechten Mitte und auch den Rechtsaußen-Kräften zugeneigt. Der selbe Trend zeichnet übrigens auch bei den sehr dynamischen (Neo-)Protestanten und einem beträchtlichen Teil der strengreligiösen und konfessionell engagierten Juden ab. Diese konservative bis fundamentalistische Rekonfessionalisierung gilt natürlich auch und im Besonderen für die Muslime, bloß dass sie wegen der oftmaligen verallgemeinernden anti-muslimischen Stoßrichtung der Konservativen und Rechten diesen Parteien (einstweilen?) kaum nähern können.   

 

Danny Leder, 24.9.2023

Veranstaltungs-Hinweis:

Europa zwischen Aufbruch und Aufruhr - Aufbau und Erhalt von Zivilgesellschaften in Ost und West

Jahrestagung 2022 der Evangelischen Gesellschaft für Ost-West-Begegnung
21. bis 23.Oktober 2022 in Heilbad Heiligenstadt / Eichsfeld, 37308 Deutschland

 

Zugang zum Tagungs-Programm und zur Tagungs-Anmeldung

 

Tagungs-Referate:

 

* Gedanken zu den bürgergesellschaftlichen Verhältnissen in Polen - Hoffnungen und Enttäuschungen eines in der Zweiten Polnischen Republik geborenen Europäers, Dr. Janusz Witt, Wroclaw.
* Frankreich - eine sich von unten aushöhlende Demokratie, Danny Leder, Paris.
* "Die Eule der Minerva" - Thierry Baudet und die neue Generation der Rechtspopulisten in den Niederlanden, Max Dahlmer, Zentrum für Niederlande-Studien der Universität Münster.
* Zivilgesellschaft und deren Widerstand gegen De-Demokratisierung in Rumänien, der Slowakei und Tschechien, Dr. Tobias Spöri, Universität Wien.
* Die Rolle der Kirchen in der Gesellschaft - Bestandsaufnahme und Ausblick nach drei Jahrzehnten in Freiheit, Gergely Pröhle, Landeskurator der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn.
* Zwischen empörten Protesten und demokratischem Engagement: Wohin entwickelt sich die deutsche Zivilgesellschaft? Daniel Saldivia Gonzatti, Wissenschafts-Zentrum Berlin.
* Die europäische Zukunft entscheidet sich im Osten, Gert Weisskirchen, Wiesloch, Bundestagsabgeordneter von 1976  bis 2009.
* Zwischen Aufbruch und Aufruhr - Hoffnung für Europa? Podiumsdiskussion.

Falter-Radio:

Pariser Erschütterungen

Gespräch über den Ausgang der französischen Parlamentswahlen. Unter der Leitung von Raimund Löw diskutieren Joelle Stolz und Danny Leder

21.6.2022

Zum Ergebnis der französischen Parlamentswahlen und seinen Folgen:

Zwischen alten Trug- und neuen Kurz-Schlüssen

 

Die Wiederwahl von Präsident Emmanuel Macron im April hatte Trugschlüsse bezüglich seines Rückhalts in der Bevölkerung ausgelöst. Die nachfolgenden Parlamentswahlen haben jetzt das Schrumpfen der Anhängerschaft des liberalen Staatschefs offenbart. Aber der gleichzeitig verzeichnete, ansehnliche Vormarsch des neuen Linksbündnisses (die linksalternative Partei des Tribuns Jean-Luc Melenchon, SP, Grüne und KP) könnte zu weiteren Kurzschlüssen verleiten. Wird er doch vom Erfolg von Marine Le Pen überschattet. Ihrer Rechtsaußen- Partei, dem „Rassemblement national“ (RN), gelang es, im Alleingang, in 89 Wahlkreisen erstmals die Hürde des in Frankreich geltenden Majoritätssystems zu überwinden und sich als mandatsstärkste Einzelkraft der Opposition in der neu gewählten französischen Nationalversammlung zu präsentieren. Das Regierungslager um Macron, das seine vormalige absolute Mandatsmehrheit eingebüßt hat, bemüht sich vornehmlich um Absprachen mit Abgeordneten der – geschwächten – bürgerlichen „Republikaner“ und den – spärlichen – sozialistischen Mandataren, die sich nicht der Linksunion angeschlossen haben. Dabei neigen die um Macron gescharten Kräfte (die Sammelpartei „Renaissance“ und zwei selbständige kleine Zentrumsparteien) zu einer Gleichsetzung zwischen der Partei des Linkstribuns Jean-Luc Melenchon (LFI – „La France insoumise“) und dem RN von Le Pen. Was dazu geführt hat, dass zwei Vertreter der RN erstmals ins Parlamentspräsidium gelangten – auch mit Hilfe von Stimmen aus dem Regierungslager um Macron. 

3.7.2022

Rückblick auf einige besondere Aspekte der französischen Präsidentenwahl:

Muslime und Juden, Melenchon und Macron

 

Der Text behandelt einige spezifische Aspekte der abgelaufenen französischen Präsidentenwahlen. Es handelt sich um Trends bei Wählern, die sich auch über ihr Zugehörigkeitsgefühl jeweils zum Islam oder dem Judentum definieren. Die Erörterung dieser Aspekte soll nicht die vordringlichen, sozialpolitischen und ökologischen Richtungsentscheidungen mindern.

   Aber andererseits haben diese erstgenannten Aspekte im Wahlkampf und bei den Wahlergebnissen eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt. Das war auch gar nicht anders möglich, wenn man die diesbezüglichen Ereignisse in Frankreich berücksichtigt: die dschihadistischen Massaker, unter denen Frankreich mehr als jedes andere europäische Land zu leiden hatte. Die an Juden verübten Morde durch Täter, die sich dem radikalen Islamismus verschrieben haben. Die eine Zeit lang tonangebende Kampagne des rechtsradikalen Kandidaten Eric Zemmour, die sich pauschalierend gegen den Islam richtete. Und der abermalige Vormarsch von Marine Le Pen, der von den meisten Muslimen und nicht nur diesen als Bedrohung verstanden wurde.

   Gleichzeitig ist zumindest Vorsicht gegenüber Jean-Luc Melenchon angebracht, dem nunmehrigen Hoffnungsträger vieler französischer Linker. Melenchon, der auch von 69 Prozent der muslimischen Wähler im ersten Durchgang unterstützt wurde, fand kein Wort zur Gefahr des radikalen Islamismus, verlor sich in verschwörungstheoretischen Interpretationen der dschihadistischen Attentate und leistete sich einen anti-jüdischen Ausfall.

"Hagalil", 1.5.2022