Textes en Allemand

Juden und Muslime in Frankreich

Rückblick auf einige besondere Aspekte der französischen Präsidentenwahl:

Muslime und Juden, Melenchon und Macron

 

Der Text behandelt einige spezifische Aspekte der abgelaufenen französischen Präsidentenwahlen. Es handelt sich um Trends bei Wählern, die sich auch über ihr Zugehörigkeitsgefühl jeweils zum Islam oder dem Judentum definieren. Die Erörterung dieser Aspekte soll nicht die vordringlichen, sozialpolitischen und ökologischen Richtungsentscheidungen mindern.

   Aber andererseits haben diese erstgenannten Aspekte im Wahlkampf und bei den Wahlergebnissen eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt. Das war auch gar nicht anders möglich, wenn man die diesbezüglichen Ereignisse in Frankreich berücksichtigt: die dschihadistischen Massaker, unter denen Frankreich mehr als jedes andere europäische Land zu leiden hatte. Die an Juden verübten Morde durch Täter, die sich dem radikalen Islamismus verschrieben haben. Die eine Zeit lang tonangebende Kampagne des rechtsradikalen Kandidaten Eric Zemmour, die sich pauschalierend gegen den Islam richtete. Und der abermalige Vormarsch von Marine Le Pen, der von den meisten Muslimen und nicht nur diesen als Bedrohung verstanden wurde.

   Gleichzeitig ist zumindest Vorsicht gegenüber Jean-Luc Melenchon angebracht, dem nunmehrigen Hoffnungsträger vieler französischer Linker. Melenchon, der auch von 69 Prozent der muslimischen Wähler im ersten Durchgang unterstützt wurde, fand kein Wort zur Gefahr des radikalen Islamismus, verlor sich in verschwörungstheoretischen Interpretationen der dschihadistischen Attentate und leistete sich einen anti-jüdischen Ausfall.

"Hagalil", 1.5.2022

Der grauenhafte Tod von Jeremy Cohen könnte Frankreichs Präsidentenwahl mitentscheiden 

 

Ein junger, leicht behinderter Jude wird von 15 Männern in einem Pariser Vorort schwerstens misshandelt, flüchtet und wird von einer Straßenbahn überfahren. Sein Tod könnte den ersten Durchgang der französischen Präsidentenwahlen am kommenden Sonntag mitentscheiden. In Umfragen rückt Marine Le Pen dem Amtsinhaber Emmanuel Macron immer näher.

 

"Hagalil", 5.4.2022

Der Irrlauf des "jüdischen Antisemiten" Eric Zemmour

 

Monatelang drehte sich Frankreichs Politdebatte fast nur um Eric Zemmour. Der Quereinsteiger des Präsidentschafts-Wahlkampfs übertraf bei Umfragen Marine Le Pen, politisch überholte er sie weit rechts. Obwohl er, aus Familien-Tradition, eine Synagoge besucht, nannte ihn Frankreichs Oberrabbiner Haim Korsia einen "Rassisten" und "Antisemiten". Diesbezüglich dürfte er den Bogen überspannt haben, sein Stern könnte gerade jetzt, da er seine Kandidatur für die Präsidenten-Wahlen (im April 2022) offiziell verkündet hat, wieder verglimmen.

Der Umstand, dass Zemmour aus einer jüdischen Familie stammt, die aus Algerien eingewandert ist, und dass er eine, wenn auch diskrete, konfessionelle Tradition pflegt, spielt eine gewisse Rolle, auch wenn diese nur selten offen angesprochen wird. Für die ultranationalistischen und ultrakatholischen Kreise, die ihn vornehmlich unterstützen, ist es ein Vorteil, sich auf einen "Juden" berufen zu können. Zemmour hat sich in unverschämter Weise bemüht, die aus diesen Gefilden stammende, einst breitenwirksame anti-jüdische Ideologie gewissermaßen zu rehabilitieren. Für Zemmmour ist der Chef des französischen Kollaborationsregimes während der deutschen Besatzung, Philippe Pétain, ein "Beschützer der Juden" gewesen, hingegen "zweifelt" er an der Unschuld des jüdischen Artilerie-Hauptmanns Alfred Dreyfus, der auf Grund einer Verschwörung antisemitischer Offiziere des französischen Generalstabs 1894, erwiesenermaßen zu Unrecht, unter dem Vorwurf der  Spionage für Deutschland degradiert und verbannt wurde.

Aber Zemmours monomanischer Kampfdiskurs gegen den Islam und die Muslime im Allgemeinen stößt auf Seiten seiner demokratischen Gegner auf eine gewisse Unbeholfenheit, nachdem Frankreich die schwersten und häufigsten Dschihadisten-Angriffe in Europa erlitten hat, und etliche jüdische Familien aus ihren Wohngegenden in Vorstädten wegen chronischer Anfeindungen und gelegentlicher Übergriffe durch islamistisch geprägte Jugendliche ausziehen mussten.

 

Die einzelnen Textabschnitte:

* "Verweiblichte Eliten"
* Eine "grande culture"
* Idol der ultrakonservativen Katholiken
* Jean-Marie Le Pen: "Eric darf das sagen, weil er Jude ist"
* War Alfred Dreyfus doch ein Verräter?
* Waren jüdische Schulkinder, die von einem Dschihadisten erschossen wurden, "keine Franzosen"?
* "Schützte" der Hitler-Adlatus in Frankreich, Philippe Pétain, die Juden?
* Der rettende Hirtenbrief der französischen Bischöfe
* Beate und Serge Klarsfeld als Feindbilder
* Der wunde Punkt von Zemmours Gegnern
* Statt "Heil Hitler" wird "Allahu Akbar" gerufen
* Die Juden Algeriens - "Eingeborene" und Franzosen
* Tollkühner Widerstandsakt in Algier 1942
* Das Pogrom von Constantine 1934
* Jüdische Berber, arabische Juden, sefardische Franzosen
* "Napoleon ist unser Vater, Ludwig der Vierzehnte unser Großvater"
* Überwiegende, aber ziemlich belanglose familiäre Ursprünge in Nordafrika
* Leiernde Ansprachen und kein Charisma

 

"Hagalil", 29.11.2021

Falter-Radio:

"Charlie-Hebdo" und die Kontroversen um den Islamismus in Frankreich / Macron versus Erdogan im Mittelmeerraum und Afrika

Raimund Löw im Gespräch mit Danny Leder

In Paris hat der Prozess gegen mutmaßliche Komplizen und Handlanger der Dschihadisten begonnen, die 2015 die Gemetzel in der Redaktion von "Charlie-Hebdo" und im jüdischen Supermarkt "Hypercacher" verübten. In Sachen Solidarität mit "Charlie" und in der Frage des Umgangs mit dem Islamismus ist die französische Zivilgesellschaft und namentlich die Linke tief gespalten. Die einstweilen unüberbrückbare ideologische Frontlinie verlauft zwischen einer betont säkularen Strömung, die gelegentlich als "Charlie-Linke" bezeichnet wird, und die den politischen Islam als eine der Hauptgefahren für die Demokratie und die Menschenrechte wahrnimmt, auf der einen Seite, und linken Kräften, die die Muslime primär als geächtete Opferkategorie betrachten und "Charlie-Hebdo" mit dem Bannfluch der "Islamophobie" belegt haben, auf der anderen Seite / Präsident Emmanuel Macron ist unterdessen bemüht, dem neo-osmanischen  Expansionskurs des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im sunnitischen Raum, vom Nahen Osten bis Afrika, zu kontern.

12.9.2020